Eine feste Säule im Programm des ECNP-Kongresses sind die „Top Paper Sessions“. In diesem Jahr stellte Prof. Dr. Silvana Galderesi (Neapel/Italien) die aus ihrer Sicht wichtigsten Publikationen aus dem Bereich Psychosen vor.
Neurokognitive Dysfunktion: Biomarker für hohes Psychoserisiko
Neurokognitive Störungen in den Bereichen Konzentration und Gedächtnis sind ein bekanntes Merkmal von Menschen mit einem klinisch hohen Psychoserisiko (Clinical high risk for psychosis, CHR-P). Die Ausprägung und das Ausmass neurokognitiver Defizite lag bisher noch eher im Dunkeln. Die Ergebnisse einer Metaanalyse von 78 Studien deuten darauf hin, dass neurokognitive Störungen ein prognostischer Biomarker für CHR-P sind und eine frühe Detektion von Menschen mit hohem Psychoserisiko unterstützen könnte 1. In die Metaanalyse wurden die Daten von 78 Studien mit insgesamt 5’162 Personen mit CHR-P, 2’865 gesunden Probanden und 486 Patienten mit einer ersten psychotischen Episode (FEP, first episode psychosis) einbezogen. Die CHRP-Gruppe schnitt in allen neurokognitiven Domänen (Verarbeitungsgeschwindigkeit, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis, verbales Lernen, visuelles Lernen, Problemlösen und soziale Kognition) deutlich schlechter ab als die gesunden Probanden. Für die Identifizierung von Personen mit CHR-P waren folgende Tests am besten geeignet: Stroop W, HVLT-R, BACSSC, Hinting Task, RAVLT, UOSI und NART. Einige Tests, wie z.B. der HVLT-R und der CVLT ermöglichen auch eine Unterscheidung von CHR-P und FEP-Patienten 1. Die Evaluation der neurokognitiven Funktion kann laut Galderesi helfen, Menschen mit erhöhtem Psychoserisiko frühzeitig zu erkennen und präventiv zu intervenieren.
Komorbider Diabetes: Hohe Exzessmortalität ist vermeidbar
Dass Menschen mit Schizophrenie häufig Diabetes mellitus entwickeln, ist nicht neu. Wie ein komorbider Diabetes und dessen Komplikationen das ohnehin bei Schizophrenie erhöhte Mortalitätsrisiko beeinflussen, war bisher jedoch nicht klar. Galderesi verwies auf eine neue Kohortenstudie aus Hongkong 2: Zwischen 2001 und 2016 wurden 6’691 Patienten mit Schizophrenie und Diabetes eingeschlossen; 68’682 Diabetiker ohne psychiatrische Erkrankungen bildeten die Vergleichsgruppe. Die Patienten mit Schizophrenie und komorbidem Diabetes hatten ein geringeres Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen (einschliesslich Retinopathie und Nephropathie) und ein in etwa vergleichbares Risiko für makrovaskuläre Komplikationen, aber sie hatten häufiger zerebrovaskuläre und metabolische Komplikationen als die Patienten mit alleinigem Diabetes. Das Mortalitätsrisiko der Patienten mit Schizophrenie mit Diabeteskomplikationen war signifikant erhöht – nach Auftreten von makrovaskulären Komplikationen um 19 % und nach mikrovaskulären Komplikationen sogar um 33 % – unabhängig vom Schweregrad der jeweiligen Diabeteskomplikationen. Auch bei leicht ausgeprägten Komplikationen war die Mortalität höher als in der Kontrollgruppe, so Galderesi. Wichtigster Prädiktor für einen ungünstigen Outcome und vorzeitigen Tod war eine Retinopathie. Die hohe Exzessmortalität liesse sich vermeiden, so die Expertin, wenn bei allen Patienten mit Schizophrenie und Diabetes regelmässige Retinauntersuchungen durchgeführt würden.
Primäre Psychosen: Wie gelingt ein personalisiertes Management?
Obwohl primäre Psychosen eine heterogene Gruppe psychiatrischer Krankheiten sind, erfolgt die Behandlung der Patienten derzeit noch weitgehend undifferenziert. Mit dem Ziel ein personalisiertes Management und den gezielten Einsatz evidenzbasierter Therapiestrategien zu ermöglichen, hat eine internationale Expertengruppe klinische Charakteristika primärer Psychosen erarbeitet 3. Die Autoren beschreiben 17 relevante Domänen (z.B. Positiv- und Negativsymptome, andere psychopathologische Komponenten, Kognition, soziale Funktion, Lebensqualität, Komorbiditäten, Geburtskomplikationen, frühe Umgebungseinflüsse, u.a.) für die systematische klinische Charakterisierung der Patienten sowie spezifische, standardisierte Instrumente zur Erfassung der einzelnen Domänen. Mithilfe neuer statistischer Tools, Big Data und innovativer Methoden des Machine Learning könnten in Zukunft Symptom-Cluster gefunden werden, anhand derer sich einzelne Patienten homogeneren Subgruppen zuordnen lassen. Für diese Subgruppen von Menschen mit primärer Psychose könnten dann personalisierte Managementstrategien zum Einsatz kommen.
TOP Paper Session (TP01) “Highlights in psychosis”, 3. Oktober 2021